Buch-Tipp August 2025

Renate Seemann empfiehlt:

Tarjei Vesaas

Frühlingsnacht Roman

Verlag: Guggolz Verlag 2025

Dem Verleger Sebastian Guggolz, der im März 2023 seinen feinen kleinen Verlag auf Einladung der Literarischen Gesellschaft auch in Lüneburg vorstellte, gebührt großer Dank für die Entdeckung des norwegischen Schriftstellers Tarjei Vesaas (1897 – 1970) zur Freude der deutschen Leserschaft und der Literaturkritiker (!). Der Bauernsohn, der die traditionelle Übernahme des Hofes verweigerte, in den 20er und 30er Jahren Europa bereiste, wurde ein anerkannter internationaler Schriftsteller und lebte bis zu seinem Tode in seinem Heimatdorf auf einem anderen Hof und schrieb hauptsächlich über Menschen und Gesellschaft einer eher ländlich, aber bürgerlich geprägten Welt. Mehrmals wurde er für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen.

Der vielfach ausgezeichnete Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkels – auch er immer wieder mal zu Gast im Heinrich-Heine-Haus – übersetzte alle bisher bei Guggolz erschienenen Romane Vesaas‘ „Die Vögel“, „Das Eis-Schloss“, „Der Keim“ und nun auch diesen wieder schlanken, sprachlich dichten und in jeder Hinsicht aufregenden Roman (214 Seiten).

Der 14-jährige Hallstein, aus dessen Perspektive alles geschrieben und gesehen wird, ist mit seiner schon fast erwachsenen Schwester Sissel ohne Eltern allein zu Hause. Am späten Abend werden die beiden von einer Familie mit fünf Personen, die eine Autopanne haben, um Hilfe und Unterkunft gebeten. In dieser Nacht wird ein Kind geboren, eine Frau stirbt und Hallstein lernt ein gleichaltriges Mädchen kennen. Am nächsten Morgen, wenn die Familie sich wieder auf den Weg macht, ist Hallstein kein Kind mehr. 

Die Familienverhältnisse der Hilfesuchenden werden erst nach und nach erkennbar, bleiben aber trotzdem nur angedeutet. Die immer dramatischer werdende Nacht lässt existentielle menschliche Beziehungen und Erfahrungen erahnen.

Was diesen Roman, den man auch gern wegen seiner ‚unerhörten Begebenheit‘ als Novelle verstehen kann, in meinem Verständnis so lesenswert macht, ist seine Realität, die fremd wirkt, vielleicht auch archaisch. Durch Vesaas‘ (und Schmidt-Henkels) Sprachbeherrschung – knapp, genau, sehr ungewöhnlich und auch symbolisch – wird eine Stimmung erzeugt, der ich mich gern hingegeben habe. So las ich auch manche Sätze mehrmals, weil sie so gut und eindringlich waren. Und die ‚Abenteuer‘ Hallsteins führen am Ende zu Grunderfahrungen, die jeder Mensch machen muss: Geburt, Tod, Liebe.

Ein Leseerlebnis ganz besonderer Art.