Dr. Dieter Czajka empfiehlt:
Michael Köhlmeier
Matou Roman
Verlag: Hanser Literaturverlage 2021
Vorweg eine Warnung: Das Buch, von dem die Rede sein soll, umfasst rund 950 Seiten; und wenn Sie sich nach einigem Zögern schließlich entschlossen haben, es aufzuschlagen, werden Sie es oft genug wegen vorgerückter Zeit an einer spannenden Stelle aus der von nahezu einem Kilo Gewicht ohnehin ermüdeten Hand legen müssen. Das mag erklären, warum ein bereits 2021 erschienenes Buch erst jetzt als „Buch des Monats“ vorgestellt wird.
Matou ist ein Kater. Allerdings kein gewöhnlicher Kater. Denn Matou kann nicht nur sprechen, und zwar mehrere menschliche Sprachen, sondern auch schreiben und lesen, Letzteres mit unglaublicher Geschwindigkeit und verbunden mit einem phänomenalen Gedächtnis. So benötigt er nur 20 Minuten, um „Anna Karenina“ zu lesen und auswendig zu lernen. Das Buch, um das es hier geht, ist seine Autobiographie. „Michael Köhlmeier“ ist sein Pseudonym. Besser ausgedrückt: Köhlmeier hat ihm seinen Namen geliehen.
Kater und andere Tiere mit menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten sind uns aus Märchen und Kinderbüchern bekannt. Ich erinnere an den Gestiefelten Kater oder Kater Mikesch von Josef Lada. In Büchern, die sich an ältere Jahrgänge richten, sind sie vergleichsweise selten. Immerhin: Da gibt es den Kater Murr, der dem Lesepublikum unter dem Pseudonym E. T. A. Hoffmann seine Lebensansichten geschenkt hat, und natürlich Kafkas vermenschlichten Affen Rotpeter, den wir aus seinem „Bericht für eine Akademie“ kennen. Beide tauchen auch in „Matou“ auf: Mit Rotpeter verbindet Matou eine enge Freundschaft, und Murr – das ist Matou selbst in einem späteren Leben.
Damit ist das Stichwort gefallen: Katzen haben bekanntlich sieben Leben. Dies ist, wie wir aus „Matou“ lernen, nicht nur eine Metapher für die Lebenskraft der Katzen. Vielmehr müssen die sieben Leben wörtlich genommen werden. Am Ende der sechs ersten Leben steht ein Zeitraum, der als das „Weggemachte“ bezeichnet wird. So erklärt es sich, das Matou, der sein erstes Leben während der französischen Revolution in Paris verbringt und wie sein Herrchen Camille Desmoulins unter der Guillotine beendet, später als Kater Murr wiedergeboren wird und in seinem sechsten Leben Begleiter von Andy Warhol ist. Im Gegensatz zu der Wiedergeburt im Hinduismus wird eine Katze immer wieder als Katze geboren. Erst nach dem siebten Leben gibt es für sie keine Wiederkehr.
Wenn Sie jetzt sagen: So etwas gibt es doch gar nicht, das ist doch ein reines Phantasieprodukt ohne Realitätsbezug, dann haben Sie es genau getroffen: „Matou“ ist jedenfalls, was seinen Titelhelden anbelangt, ein Märchen für erwachsene Leserinnen und Leser, die sich ein wenig von der Fähigkeit der Kinder und ihre Lust daran bewahrt haben, sich von einem Buch und seinen Personen in eine Phantasiewelt versetzen zu lassen. Es muss ja nicht immer „Star Wars“ sein. Ein Kater steht uns in jedem Fall näher, um nicht zu sagen: Er kommt uns menschlicher vor. Und wollten wir nicht schon immer wissen, welche Gedanken sich ein Tier, dem wir begegnen, über uns und die Welt macht? Wohlan, „Matou“ bietet uns eine Gelegenheit dazu.