Evelyn Schade empfiehlt:
Arno Geiger
Das glücklich Geheimnis
Carl Hanser Verlag München 2022
Ein Schriftsteller containert? – Ein Schriftsteller containert!
Auf der Suche nach gebrauchtem Papier…
Arno Geiger breitet in „Das glückliche Geheimnis“ seine janusköpfige Existenz aus. Einerseits durchforstet(!) er über Jahrzehnte die Papiertonnen Wiens und bringt immer wieder kostbare Bücher, z.B. historische Wertpapiere, alte Comics u.v.a.m. zu Tage, die in Auktionshäusern gelegentlich kleine Vermögen und auch auf Flohmärkten respektable Beträge einbringen. Ebenso findet er Tagebücher und Briefe, also viel Privates. Doch andererseits gibt er dem Schreiben immer größeren Raum. Je länger er forstet, desto stärker wird er durch die Kenntnis eben der Tagebücher und Briefe der ihnen inhärenten Menschenkenntnis teilhaftig. Sein eigenes Schreiben gewinnt Tiefe und eine erhebliche Portion Wahrhaftigkeit durch die Fundstücke.
Er reüssiert als Schriftsteller, bekommt Stipendien, dann wesentliche Literaturpreise, gleichwohl behält er sein Doppelleben bei.
Der Anfang mag vielleicht erwartbare Erfahrungen eines schriftstellernden Altpapiersammlers sein. Manche Introspektion erschien zu persönlich, zu intim, will ich das eigentlich wissen. Dass dadurch aber das gesamte Buch gerundet und fühlbar wird, wusste ich erst am Ende.
Denn je wärmer ich mich gelesen hatte, desto mehr spürte ich die Sogwirkung. Besonders die Introspektion, die zu nachdenkenswerten Ausführungen über DEN Schriftsteller, dessen Rolle, Verlagsinterna und wie sehr z.B. das Pensum der Lesereise nach dem Gewinn des Deutschen Buchpreises Geiger zusetzte, geht nahe. Das Thema Suche und Finden -und aber auch das Lassen – setzt sich in puncto Wahrheit, Wesentlichkeit, Freiheit fort und mündet auch in Aperçus mit Allgemeingültigkeit.
So charakterisiert er in einer kurzen, aber prägnanten Passage anhand des Wandels seiner Fundstücke die Gesellschaftsveränderung dieser Jahrzehnte.
Ja, hier begegnen wir einem so ernsthaft und aufrichtig um Wahrheit ringenden Schriftsteller, dass der Begriff der Auto“fiktion“ fast unpassend erscheint, es ist autobiografisch.
Arno Geiger schrieb in „Der alte König in seinem Exil“ über seinen an Alzheimer erkrankten Vater. Wen dieses Buch fesselte, dem sei „Das glückliche Geheimnis“ besonders empfohlen, denn dieser Vater sowie Geigers Mutter sind im zweiten Teil präsent. Fast durchgängig begegnet man seiner späteren Frau Katrin und liest auf S. 45: „Das ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.“
Dass Geiger bereits zweimal in Lüneburg gelesen hat und Lüneburg tatsächlich einmal im Buch genannt wird, sollte nicht unerwähnt bleiben.