Dirk Hansen empfiehlt:
Simone de Beauvoir
Les inséparables / Die Unzertrennlichen Roman
Verlag: Ud-Union Distribution 2020 / Robwohlt Taschenbuch Hamburg 2023
Wer seine (männlichen ?) Vorurteile mal (wieder?) gerne überwinden möchte, sollte zum erst jetzt, posthum erschienenen Roman „Les Inséparables“ der großen französischen Schriftstellerin Simone de Beauvoir (1908-1986) greifen. Mit dem Welterfolg von „Das andere Geschlecht“ (Le deuxième sexe, 1949) hat die Autorin für Jahrzehnte die internationalen Debatten um die Emanzipation der Frau bestimmt und diese immer wieder in Erzählungen, Romanen und Essays wie „Die gebrochene Frau“ („La femme rompue“, 1968) thematisiert. Lange Jahre war sie Speerspitze des Feminismus und ihre, zusammen mit Jean-Paul Sartre, existentialistisch-philosophischen Dialoge prägten die Nachkriegszeit.
Jetzt, ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod hat ihre Adoptivtochter Sylvie Le Bon de Beauvoir sehr lesenswerte Erinnerungen der Autorin herausgegeben, die trotz der Pseudonyme unverkennbar die enge Freundschaft zweier junger Frauen (Simone/Sylvie und Zaza/Andrée) wiederspiegeln. Der Welterfolg von „Mémoires d’une jeune fille rangée“ („Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“, 1958) läßt grüßen. Doch diese lange zurückgehaltenen, schon 1954 verfaßten Erinnerungen sprechen von einer Freundschaft zweier Frauen, die seit ihrer Schulzeit unzertrennlich sind und ihre persönlichen wie familiären Probleme mündlich wie brieflich miteinander teilen. Natürlich stellen sich da auch Fragen nach Beziehungen zum männlichen Geschlecht und erst recht nach dem Verhalten zu den Eltern. Die heranwachsenden jungen Frauen reden über Familie, Liebe und Körperlichkeit, Religion, Literatur, Politik, ihre Zukunft. Und der unerklärliche Tod der 22jährigen Freundin mag der Grund sein, daß Simone de Beauvoir diese Erinnerungen jahrzehntelang verschlossen hielt. Ihr Kampf für nicht nur die eigene Emanzipation, sondern die ihres Geschlechts dürfte nicht zuletzt in dieser engen und unvollendeten Liebes-Beziehung begründet sein.
(Im monatlichen ‚cercle littéraire‘ der Deutsch-Französischen Gesellschaft Lüneburg-Clamart wird dieses Buch am 9. Mai 2023, 16h, im Heine-Haus, besprochen.)