Joachim Seemann empfiehlt:
Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann Erzählung
Verlag: Kiepenheuer und Witsch 1974
Ein ganz aktuelles Buch, das schon vor 51 Jahren erschienen ist.
Aus dem gegebenen Anlass unserer letzten Veranstaltung im Heinrich-Heine-Haus möchte ich dieses Buch zur wiederholten oder zur Erstlektüre empfehlen. Die Reaktionen von Besuchern nach der Veranstaltung bestärken mich in dieser Absicht.
Die in diesem Buch dargestellte Arbeit der Medien und deren Wirkung ist heute noch genauso zu beobachten und unter den jetzt viel weiterentwickelten technischen Möglichkeiten womöglich noch vielfältiger und weitreichender.
Die Erzählung erscheint in der Form eines Berichts in 58 Abschnitten, in dem auch die Wahl der Darstellung und die Verarbeitung der Quellen reflektiert wird.
Doch nun zur Handlung. Es werden Ereignisse der vier Tage nach dem 20. 02. 1974 vom Ende her entwickelt. Katharina Blum, eine hübsche junge Frau, gibt dem Kriminaloberkommissar Walter Moeding „gegen 19.04“(sic) Uhr zu Protokoll, dass sie Werner Tötges, den Journalisten der Boulevardzeitung ZEITUNG, „mittags gegen 12.15“ (sic) Uhr erschossen habe. Die Erzählung zeigt dann, wie die unbescholtene und zurückhaltende Katharina sich am Vorabend von Weiberfastnacht auf einer privaten Karnevalsparty in einen jungen Mann verliebt, der ein von der Polizei gesuchter radikaler Rechtsbrecher ist. Durch diesen Umstand gerät sie in den Mittelpunkt der Sensationsmache der ZEITUNG. Sie verliert durch den Bruch und die Verfälschung ihrer Privatsphäre ihre Ehre und setzt sich für alle überraschend zur Wehr.
Ich finde es rückblickend schon erstaunlich, wie weitsichtig aus heutiger Sicht Heinrich Böll vor 51 Jahren war und dass sich die Bericht- und Darstellungsweisen der Boulevardpresse und der sozialen Medien eher verschlimmert haben.
In allem ein sehr erhellendes Werk, das interessant und durch seine Ironie und seinen Witz erschreckend vergnüglich zu lesen ist.